Earthfirebed

Seit drei Jahre bin ich im Seminarhaus Winkel in Märstetten in der Schweiz (Nähe Konstanz am Bodensee) in einem Kreis von Frauen unterwegs, um die Kraft, das Wissen und die Schönheit der Göttin in uns Frauen wieder aufzuwecken. Loon Schneider, Medizinfrau, verbunden mit der keltischen Tradition und natürlichem Bauernwissen, leitet den Frauenkreis. Neben der Natur und den Jahreszeiten stehen im Seminarhaus Winkel noch andere Kraftplätze zur Verfügung wie Schwitzhütte und KIWA (indianischer Zeremonialort in der Erde). Ein wilder Rebberg im Thurgau, der Mann und Frau im Dorf zusammen gehört und auf dem fast vergessene Pflanzen wieder wachsen, gehört ebenfalls.
Mit all den Kraftplätzen arbeiten wir vornehmlich zeremoniell, um in unserem physischen Körper die Erinnerung an die Göttin in uns, wieder aufwachen zu lassen. Wir lachen, weinen, heilen uns zusammen. Gemeinsam lernen und tanzen wir und teilen miteinander, was an tiefer Wahrheit in unseren Herzen aufleuchtet. So holen wir uns ein leuchtendes Bild des Frauseins zurück und lernen, aus diesem Selbstverständnis heraus alltäglich zu handeln. Unser Novembertreffen war dem Zugang zu unserer Ahnenlinie gewidmet sowie dem weiblichen Feuer in unserem Schoss. Versöhnung mit unseren Ahnen ist nötig, weil ohne diese Klarheit weder ein autonomes Leben noch liebevolle Beziehungen wirklich möglich sind. Berichten will ich aber hier von der faszinierenden Erfahrung mit den Feuer-Betten. Dies ist vermutlich ein Abenteuer, dass von den Leserinnen und Lesern kaum jemand kennt. Selbstverständlich machen Männer ebenfalls ihre Erfahrungen im Erd-Feuerbett. An einem verschneiten, neblig-kalten Novembertag sind wir ausgezogen, wie Medizinfrauen, Hexen und Weiber vielleicht schon immer ausgezogen sind: mit Pickeln, Schaufeln und wetterfester Kleidung! Im Rebberg haben wir ein Zentrumsfeuer entzündet und im Kreis darum unsere künftigen Erdbetten ausgegraben. Dies geschah mit klammen Fingern, tropfenden Nasen und viel unterstützendem Lachen. Ein Erdbett ist eine Grube, in der wir später das Feuer entzünden und dann für einige Stunden auf der etwas abgedeckten Glut liegen.
Die Absicht hierbei ist, den Spirit dieser Glut - die Kraft des Magmas - ganz in unseren physischen Körper aufzunehmen und so unser eigenes inneres Feuer aufzuwecken. Zurück im Haus, mit wärmendem Tee im Magen, haben wir uns gesprächsweise auf die bevorstehende Zeremonie vorbereitet. Sie machte uns allen ein bisschen Bange. Folgende Fragen beschäftigten uns: Was kann es für mich bedeuten, das weibliche Feuer in meinem Schoss aufzuwecken? Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesem inneren Magma, meiner Frauenkraft und meiner Kreativität?
Diese stille, dunkle Novemberzeit lässt uns in die „Untere Welt“, wie die Schamaninnen sagen, absteigen. Es ist auch die Zeit, den Tod und die Vergänglichkeit als Tatsache anzuerkennen und als Chance der Transformation zu ehren und dadurch einen Zugang zu unserem innersten, noch ungeborenen Potential zu finden. Wir löschen alle Lichter und Feuer im ganzen Haus und sitzen in der Dunkelheit. Wir hören unseren Atem, spüren unseren Kreis von Frauen. Die tiefen Gefühle, die wir am Abend zuvor bei einem gemeinsam erfahrenen griechischen Trauertanz und Sterberitual aufgeweckt hatten, überfluten uns nochmals. Unverhoffte Sätze, die wir am Morgen im Gespräch mit den Ahnen, uns selbst sprechen hörten, tauchen wieder auf. Wir lassen uns vom Frauenwissen berühren, dass das Leben und Sterben ein ewiger Kreislauf ist. Sterbelieder aus aller Welt haben dabei unsere Herzen berührt.
So erfüllt von inneren Klängen verlassen wir das Haus und kehren, mit pochenden Herzen, zum Rebberg zurück. Mit einem Feuerlied entfachen wir das Zentrumsfeuer und ehren so das männliche Feuer der Sonne, das im Holz der Bäume gespeichert ist. Wir rufen die Ahnen und Göttinnen und bitten um Unterstützung. Wir nähren die kahlen Rebstöcke mit dem Trester der letzten Traubenernte, so dass uns auch hier der Kreislauf von Tod und Leben bewusst wird. Aus dem Feuer in der Mitte entzündet jede Frau das Holz in ihrem Feuerbett; schon das wird für einige zur ersten Herausforderung. Im Kreis lodern nun in dieser weißen, stillen Nacht die Feuer, und die roten Flammen zaubern eine magische Vulkanlandschaft hervor. Über soviel schlichte Schönheit bleibt uns für Augenblicke fast der Atem stocken. Die Bussarde, Milane und auch die Krähen, die uns am Mittag beim beschwerlichen Graben beäugt hatten, sind jetzt still. Nur ein Käuzchen ruft ab und zu aus dem schwarzen Wald. Am Horizont blinken ein paar Lichter von einem Dorf; sie erinnern uns an warme Stuben, an vernünftiges Leben, und fast jede fragt sich heimlich: bin ich denn verrückt? Soll ich wirklich die Nacht in diesem Glutbett verbringen? Wir verteilen die Glut, streuen etwas Erde darauf und legen eine Wolldecke darüber. Wir hoffen, nachts nicht „anzubraten“, weil wir zu wenig Erde darüber gestreut haben, und nicht zu erfrieren, weil wir zu vorsichtig waren... Alle Frauen legen sich in ihr Feuer-Bett, ziehen eine Plane als Schutz vor dem Schneefall darüber. Und es wird augenblicklich still und immer stiller... Die Glut durchdringt Decken und Kleider. Werde ich soviel Hitze aushalten? Und wenn die Decke in Brand gerät? Die Stimme der Vernunft versucht ein letztes Mal, die Kontrolle zu behalten. Aber bald übernimmt die Weisheit meines Körpers die Zeremonie, sagt Ja zu Glut und Hitze, empfängt sie ohne Widerstand. Und das Magma beginnt meinen Bauch zu füllen, öffnet mein Herz, macht meine Muskeln weich, durchdringt wohlwollend, doch bestimmt meine Verspannungen, der Darm rumort, das Herz erleichtert sich mit einigen Tränen, alte, vergangene Geschichten „schmelzen“, der Atem wird immer tiefer und die Zeit immer langsamer...
Ich falle in den „Spalt zwischen den Welten", wie die Schamanin sagt, finde mich, beide verbindend, zwischen Wachen und Träumen. Ich spüre meinen glühenden Körper und die liebevollen Arme der Erde, spüre wie die magische Hitze jeden Muskel und jedes Organ durchströmt und meinen Körper heilt.
Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob ich in der Anderswelt bin oder wo auch immer. Der Brandgeruch meiner Wolldecke schleudert mich immer wieder ins Hier zurück. Mein Bewusstsein ist geteilt. Ich frage mich, wie mein Körper eine solche Hitze aushalten kann, gleichzeitig weiß ich, dass ich genaue diese Hitze für meine Erkenntnisse gewählt habe. Eine innere Stimme gibt mir genaue Anweisungen, wie ich mich in der Glut drehen soll. Mein Ich rebelliert, denn ich will nicht manipuliert werden. Gleichzeitig spüre ich das Wohlwollen dieser Stimme und lasse mich dann von ihr führen. Hitze steigt durch meine Fusschakren in mir auf , durchdringt jede meiner Zellen, reinigt und heilt sie. Stille und tiefer Frieden erfüllt mich. Ich spüre, wie ich mich mit dem Magma verbinde und in ihm bade. Eine orgiastische Welle schüttelt meinen Körper. Ich „sehe“, wie in unermesslicher Tiefe unter mir, im Zentrum der Erde, das glühende Magma mit mir tanzt, während gleichzeitig über mir das scheinbar kalte Licht von Milliarden von Sternen glitzert, wie noch nicht angekommene Lichtsamen, die auf unserer Erde Gestalt und Form werden möchten. Ich „sehe“ mich selbst, wie ich in diesem kochenden Dampf zwischen Erde und Himmel schwebe... Gedanken, Erinnerungen, Wahrnehmungen lösen sich auf und kehren zurück als tiefgefühlte wahre Einsicht. Ein glasklarer Satz wacht in meinen Zellen auf: Wildheit und Liebe gehören zusammen. Liebe ohne Wildheit bleibt ohne Kraft und Wirkung. Und Wildheit ohne Liebe kann nicht lebensspendend sein. Mit großer Dankbarkeit umarme ich diese tiefe Einsicht, die man vielleicht gar nicht in Worte fassen dürfte. Auf einmal spüre ich den kalten Morgenwind, die Nässe überall, die sich in meinem erkaltenden Feuerbett niedergeschlagen hat: ich bin wieder da, es ist Zeit, das Feuerbett zu verlassen. Wie selbstverständlich steigen alle Frauen zur selben Zeit aus ihrem Erdloch und stimmen beim Zentrumsfeuer ein Lied an als Dank und Abschluss. In einer Laterne tragen wir das Feuer zurück ins Haus.